Am Beginn eines Gruppenkurses lade ich alle TeilnehmerInnen ein, sich kurz vorzustellen. Ich frage nach den Namen von Mensch und Hund, den Erwartungen an den Kurs, und vor allem bitte ich um Beantwortung der Frage: „Was kann Ihr Hund besonders gut?“

 

Als ich vor Jahren damit begonnen habe, diese Frage zu stellen, geschah das natürlich aus bestimmten Überlegungen heraus. Wie schwer den HundehalterInnen die Antwort auf diese Frage tatsächlich fällt, war mir in diesem Ausmaß nicht klar. Und so ist es mir besonders wichtig, sie wieder und wieder zu stellen.

„Egal wie wenig Geld und Besitz du hast, einen Hund zu haben, macht dich reich“ Luis Sabin

Manche der Befragten gehen überhaupt nicht auf die Frage ein, sondern bleiben bei  Fakten wie Name, Rasse und Alter des Hundes. Viele – allzu viele, wie ich meine – erzählen, dass der Hund nicht hört, an der Leine zieht oder noch nicht stubenrein ist. Einige zählen auf, was der Hund an Übungen, Tricks oder Signalen beherrscht, meistens einschränkend erklärt „er macht es aber nur, wenn …“

Das Frauchen eines entzückenden Junghundes namens Katinka berichtete uns bei dieser Vorstellungsrunde kummervoll und mit unglücklicher Stimme, dass der kleine Hund ja noch gar nichts könne – rein gar nichts. Und sie machte sich daran, ihren Kummer in epischer Breite darzulegen. Da sprang das zugehörige Herrchen entrüstet auf und platzte heraus: „Das stimmt doch gar nicht! Dieser Hund kann mein Herz erfreuen und mich zum Lachen bringen!“

 

Danke, danke, danke!

Am liebsten wäre ich dem Herrn um den Hals gefallen!

Denn genau das ist der Sinn der Frage nach dem, was Ihr Hund besonders gut kann. Ich finde es wichtig – sehr wichtig -, wenn Hundemenschen wohlwollend auf ihren Hund schauen, wenn sie wahrnehmen, wie sehr unsere Hunde sich bemühen und was sie alles – so ganz nebenbei – wunderbar und richtig machen.

Seien Sie nicht ungerecht!

Wir sind oft schrecklich ungerecht. Gerade Hundeneulinge sind oft überrascht, dass Hunde nicht wissen, wie man anständig an der Leine geht oder dass man die Tulpenzwiebeln besser in Ruhe lässt. Aber auch erfahrene HundehalterInnen tendieren manchmal dazu, besonders jene, die den Neuen ständig mit dem verblichenen Nero, Timmy oder Julius vergleichen. Denn der hätte das ja gleich gewusst und dieses niemals gemacht und dergleichen mehr. Wie unfair! Noch dazu stimmt es ja gar nicht, weil eben jener Vorgänger ja auch nicht von Anfang an so mustergültig brav war, sondern ebenfalls erst lernen musste, dass Nachbars Katze tabu ist und man kein Schnitzel vom Küchentisch klauen darf. Vor lauter ehrendem Andenken wird darauf oft vergessen.

 

Vorerfahrungen, Erwartungen und die Wirklichkeit

„In den Augen meines Hundes liegt mein ganzes Glück, all mein Inneres, Krankes, Wundes heilt in seinem Blick“ Friederike Kempner

Wir setzen so unglaublich vieles voraus. Bei einem Welpen, der bei engagierten ZüchterInnen aufgewachsen ist, darf man getrost eine gewisse Umweltsozialisierung erwarten. Ein Hund, der Jahre in irgendeinem trostlosen Hinterhof oder einem Shelter verbracht hat, kennt womöglich gar kein Haus von innen und auch nicht die üblichen Haushaltsgeräusche – von der Stereoanlage, über die elektrischen Zahnbürste bis zum Sonnenrollo.

 

Der Welpe aus seriöser Zucht hat auch schon einmal Hunde gesehen, die ganz anders sind als Mami und die Geschwister. Das Hundekind aus dem Heizkeller kennt vermutlich nur die Mutter und die anderen Welpen aus dem Wurf und so kann der kleine braune Labbi, der bisher nur braune und schwarze Labbis kennt, entsprechend verstört reagieren, wenn er zum ersten Mal einen Dalmatiner, einen Chihuahua oder einen Bernhardiner sieht.

 

Alles ist Veränderung

Das Leben bedeutet Veränderung – auch für uns. Im Unterschied zu unseren Hunden haben wir meistens ein bisschen Vorlauf und können uns seelisch und auch praktisch auf Neues vorbereiten. Wenn zum Beispiel eine Übersiedlung bevorsteht, dann haben wir meist lang genug Zeit, um uns zu überlegen, wie wir unsere Möbel aufstellen, wo der nächste Park ist und wie der tägliche Gang zum Auto aussehen wird. Der Hund wird oft von heute auf morgen in die neue Umgebung gesetzt, mit neuen Herausforderungen, Gerüchen und Geräuschen. Das Körbchen steht „verkehrt“, der Weg zum Auto macht Angst und der neue Park riecht nach furchtbar viel Stress und Ärger.  Hat der Hund im neuen Zuhause plötzlich Probleme, in der Wohnung alleine zu bleiben oder sich im Dunkeln im neuen Garten zu lösen, fallen wir aus allen Wolken. Klappt alles gut, denken wir gar nicht weiter darüber nach.

Ähnlich ist es, wenn sich die Familienverhältnisse ändern, ein neuer Partner einzieht, ein Baby kommt oder der erwachsene Sohn auszieht. Wir wissen, was sich demnächst ändern wird, können uns gedanklich darauf vorbereiten und haben trotzdem noch allerhand Schwierigkeiten dann tatsächlich mit den neuen Gegebenheiten klarzukommen. Zumindest wenn ein Kind kommt, nehmen immer mehr HundehalterInnen ernst, was da an Veränderungen auf den Familienhund zukommt und bemühen sich, ihn darauf vorzubereiten. Aber bei den meisten Veränderungen denken wir nicht einmal darüber nach, was sie für den Hund bedeuten.

Besuchsdienst ist keine Kleinigkeit

„Welch geistige Armut muss unter den Menschen herrschen, dass sie von Tieren verlangen, was sie selbst nicht vermögen“ Karin Szech

Gerade auch im Bereich der Besuchs-, Schul- und Therapiehunde begegnet mir immer wieder ein eklatanter Mangel an Wertschätzung demgegenüber, was die Hunde in Ausübung ihrer Pflicht erbringen. „Das ist doch keine Arbeit“ oder „Der liegt ja nur herum und tut nichts!“ so und ähnlich lautende Kommentare zeugen von fehlender Empathie und schlechter Beobachtungsgabe.

 

  • Auch wenn Ihr Hund grundsätzlich Menschen mag, bedeutet das noch lange nicht, dass ein Vormittag in einer Schulklasse voller lautstarker Halbwüchsiger ein Klacks ist.
  • Auch wenn Ihr Hund mit Artgenossen gut zurecht kommt, ist ein Einsatz im Kinderkrankenhaus gemeinsam mit anderen Hunden nicht einfach nur ein Alltagsausflug.
  • Auch wenn Ihr Hund gerne gestreichelt wird, sind 25 Paar Hände im Seniorenheim, die mehr oder weniger geschickt zugreifen, nicht mit den Streicheleinheiten durch die wohlbekannte Nachbarin zu vergleichen.
  • Nichts von alledem ist selbstverständlich!

 

Positive Bestärkung als Lebensphilosophie

Hundeerziehung auf der Basis positiver Bestärkung ist ein wunderbarer Weg, um den eigenen Blick für die Leistungen unserer Hunde zu schärfen. Kleine – oft kleinste – Verhaltensweisen aus der Kategorie sinnvoll/nützlich/ausbaufähig zu registrieren und auszubauen verändert die Sichtweise völlig. Viele Hundemenschen sind den lieben langen Tag mit dem beschäftigt, was der Hund alles falsch macht, dass er schon wieder an der Leine zieht und den blöden Nachbarshund ankläfft. Dass der Hund vor dem Leineziehen an lockerer Leine ging und still war, bevor er den Nachbarshund angekläfft hat, davon wird nicht einmal Notiz genommen.

Wie erfolgreich das Training mit dem Clicker die Wahrnehmung verändern kann, hat eine KundIn, langjährige Hundehalterin, die mit einem neuen Welpen bei mir in der Hundeschule war, mit folgenden Worten beschrieben: “Ohne Clicker wäre ich nie drauf gekommen, was mein Hund ohnehin alles richtig macht!“

 

Die Hunde machen tatsächlich so vieles richtig. Denn im Grunde ist ja alles, was nicht explizit falsch, verkehrt oder unangebracht ist, im Umkehrschluss richtig!

 

Ein fairer Blick auf die Hunde und das was sie tagtäglich gut, sinnvoll, richtig und erwünscht tun, das ist es, was ich mir wünsche und wozu ich HundehalterInnen animieren möchte.

Seien Sie fair!

 

Herzlichst

Eure und Ihre

Karin Immler

 

 

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