Ein beherzter Ruck an der Leine, gefolgt von einem genervten „Harry, nein!“ oder „Verdammt, lass das!“. Schritt für Schritt wiederholte sich dieses Muster – die Rucke wurden heftiger, die Stimme ungeduldiger. Mir ging dabei nur eines durch den Kopf: So macht Spazierengehen keinen Spaß – für keinen der beiden!
Spaziergang oder Nervenprobe?
Jeder hat ja so seine eigene Vorstellung vom perfekten Spaziergang mit Hund. Für viele – so auch für mich – ist es eine besondere Zeit der Verbindung: gemeinsam draußen unterwegs, die Natur genießen, ein bisschen die Seele baumeln lassen. Einfach Qualitätszeit für Mensch und Hund.
Umso mehr schmerzt es, wenn diese gemeinsame Zeit in Stress und Ärger ausartet. Beobachtungen wie diese sind leider keine Seltenheit: Der Hund darf nicht schnüffeln, wird permanent korrigiert, läuft an einer straffen, viel zu kurzen Leine – und das Ganze erinnert eher an einen Machtkampf als an einen harmonischen Spaziergang.
Leinenruck en gros
Vor Kurzem waren Sir Teddybär und ich an einer wunderschönen Seepromenade im Salzkammergut unterwegs. Frühlingsluft, blauer Himmel, blauer See – es war geradezu kitischig und wir beide trödelten herum und genossen den schönen Tag. Es war einfach nur perfekt!
Dann fiel mein Blick auf besagte Frau mit Hund. Alle paar Schritte zupfte sie unsanft an der kurzen Leine, um den jungen Hund „in Position“ zu bringen. Eine regelrechte Pendelbewegung entstand: Der Hund machte einen Schritt zur Seite, wurde zurückgeruckt, versuchte es erneut – wieder ein Ruck. Die Szene tat mir in der Seele weh – für beide Beteiligten.
Ihr Gesicht war angespannt, der Hund sichtlich überfordert. Die Leine war durchgehend straff, befestigt am Halsband. Von „gemeinsam unterwegs sein“ war nichts zu spüren – das Ganze war ein Kraftakt, kein Spaziergang. Der Hund wollte entdecken, schnüffeln, sich mit seiner Umwelt beschäftigen – doch das wurde ihm systematisch verwehrt.
Auch Harrys Mensch konnte diesen Ausgang sichtlich nicht genießen. Die junge Frau war viel zu sehr mit Korrektur und Schimpfen beschäftigt um sich auch nur ansatzweise über das herrliche Panorama, die schöne Umgebung und den hübschen Jungspund zu freuen. Was für ein Jammer! Und was für eine Vergeudung von Lebenszeit!
Hunde brauchen Hundemomente
Hunde haben ein natürliches Bedürfnis, ihre Umwelt mit der Nase zu erkunden, hier und da zu schnüffeln, zu markieren, zu scharren. Nur stur neben dem Menschen her zu traben, erfüllt diese Bedürfnisse nicht – und frustriert auf Dauer beide Seiten.
Was es stattdessen braucht?
- Geduld
- Verständnis
- einen offenen Blick für die Interessen beider
- und manchmal einfach die Muße, stehen zu bleiben
Eine längere Leine am Brustgeschirr und ein bisschen mehr Gelassenheit hätten in diesem Fall schon Wunder bewirken können.
Was macht einen gelungenen Spaziergang aus?
Stellen Sie sich doch einmal vor, Ihr Hund dürfte seinen perfekten Spaziergang beschreiben. Was würde auf seiner Liste stehen?
✔️ Schnüffeln dürfen
✔️ in Ruhe markieren
✔️ Zeit zum Beobachten
✔️ Bewegung nach eigenem Tempo
✔️ gemeinsame Erlebnisse mit seinem Menschen
Für viele Hunde ist die Gassirunde der Höhepunkt des Tages. Wenn dieser dann aber hauptsächlich aus Leinenruck, ständiger Kontrolle und dem Ruf „Bei Fuß!“ besteht, wird dieses Highlight schnell zum Krampf.
„Der Kluge lernt aus allem und von jedem, der Normale aus seinen Erfahrungen, und der Dumme weiß alles besser.“ Sokrates
„Der Kluge lernt aus allem und von jedem, der Normale aus seinen Erfahrungen, und der Dumme weiß alles besser.“ Sokrates
Wir leben in einer Welt, in der Leinenpflicht oft notwendig ist – aber das heißt nicht, dass der Spaziergang dadurch freudlos sein muss. Schleppleinen oder längere Leinen können viel Entspannung bringen. Sie schenken dem Hund Spielraum – und dem Menschen die Chance, zu beobachten, wie viel Freude „einfach Hund sein“ machen kann. Nicht nur kann es wirklich vergnüglich sein, dem Hund dabei zuzuschauen, wenn er Hundedinge macht und dabei die Welt um sich herum vergisst. Es kann, wenn Sie es richtig anstellen, auch Qualitätszeit für Sie werden.
Einen Moment ganz im Hier und jetzt sein, in diesem Augenblick, in diesem Wald, auf dieser Wiese, das machen wir doch alle viel zu selten. So ein hundegerechter Bummelschnüffeltrödelspaziergang an der langen Leine kann auch für uns entschleunigend wirken und den Kopf frei machen. Probieren Sie es einfach aus.
Leinenführigkeit macht Spaß!
Natürlich gibt es auch Phasen, in denen Ihr Hund nahe bei Ihnen gehen sollte. Genau hier setzt gutes Leinentraining an – mit Freude statt Frust.
⇒ Sorgen Sie dafür, dass Ihr Hund gern an Ihrer Seite geht.
⇒ Belohnen Sie Position, Orientierung, Nähe.
⇒ Seien Sie großzügig, schmackhafte Belohnungen, gemeinsame Aktionen und sogenannte Umweltbelohnungen machen die Leinenführigkeit für Ihren Hund lohnend.
An lockerer Leine zu gehen muss weder langweilig noch mühsam sein! Im Lockere-Leine-Onlinekurs zeige ich Ihnen fröhliche und effiziente Übungen, damit es auch bei Ihnen mit der lockeren Leine gut klappt.
Mit einem guten Plan und etwas Fantasie wird daraus ein fröhliches Miteinander. Der Platz an Ihrer Seite ist eine gute Wahl. Es soll sich lohnen – für Ihren Hund – sich dort aufzuhalten.
Aber: Erwarten Sie bitte nicht, dass Ihr Hund den gesamten Spaziergang in perfekter Position bleibt. Auch er hat Bedürfnisse – und die sollten Sie ebenso ernst nehmen werden wie Ihre eigenen.
Gemeinsame Freude statt einseitiger Kontrolle
„Raising a dog is not about making them perfect – it’s about giving them a life where they know they are loved beyond measure.“ Dr. Karen Becker
„Raising a dog is not about making them perfect – it’s about giving them a life where they know they are loved beyond measure.“ Dr. Karen Becker
Wenn Spaziergänge für beide Seiten schön werden sollen, lohnt sich ein kleiner Perspektivwechsel.Vielleicht mögen Sie sich einmal überlegen:
⇒ Was brauche ich, um den Spaziergang zu genießen?
⇒ Und was braucht mein Hund?
Zwei Spalten auf einem Zettel – und bestimmt sehen Sie: Es gibt viele Überschneidungen.
Mit ein bisschen Achtsamkeit und Kompromissbereitschaft wird die Gassirunde zur echten Qualitätszeit.
Und wenn Sie dabei Unterstützung brauchen – zum Beispiel in Sachen Leinenführigkeit oder Spaziergangsgestaltung – bin ich gerne für Sie da.
Ich wünsche Ihnen und Ihrem Hund viele entspannte, freudvolle Spaziergänge.
Mit Leichtigkeit. Mit Verbindung. Mit echtem Miteinander.
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