Es ist nicht zu übersehen, dass die Tendenz, Hunde über Strafe erziehen zu wollen, wieder deutlich im Steigen ist. Wenn man das Knöpfchen nicht gleich findet, das den Hund veranlasst, sich wie ein Musterknabe zu benehmen, muss es eben sein. Muss es wirklich sein!?

 

„Das ist doch keine Gewalt“

Nein, eh klar! „Das tut ihm doch nicht weh!“

Es tut nicht weh, zurückgerissen zu werden (am Halsband, versteht sich)? Es ist weder schmerzhaft noch erschreckend, wenn einem der Finger in die Weichteile gebohrt wird? Es ist keinesfalls verstörend, wenn man einen Leckerbissen verlockend vor die Nase gehalten bekommt, und es dann Schelte gibt, wenn man ihn nehmen möchte? Bitte überlegen Sie einen Moment: es ist doch genau der Sinn dieser Maßnahmen, dass es eben wehtut, dass es erschreckt.

Was Gewalt ist, was als Gewalt empfunden wird, mag sehr individuell sein. Aber es gibt auch so etwas wie eine allgemeine Definition.

„Gewalt ist der tatsächliche oder angedrohte absichtliche Gebrauch von physischer oder psychologischer Kraft oder Macht, die gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft gerichtet ist und die tatsächlich oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt.“ Diese Definition stammt vom Netzwerk TIROL.

Jemandem (dem Hund) eine Blechschüssel um die Ohren zu hauen, den Zeigefinger in die Nieren zu stoßen oder ihn durch Drohungen bzw. Anschreien derartig einzuschüchtern, dass er sich gar nicht mehr zu rühren traut, ist eindeutig Gewalt.

Ganz egal, auf welche Weise Gewalt verharmlost wird, bleibt sie doch Gewalt. Man spricht von „Raumverwaltung“, „Korrigieren“, „Maßregeln“ und dergleichen mehr und meint doch schlicht und einfach die Ausübung von Gewalt.

 

Hundetraining im TV

Ich bin selbst keine eifrige TV-Konsumentin. Sogenannte Hundetrainingsformate schaue ich mir aus Gründen der Selbstfürsorge schon seit Jahren nicht mehr an. Trotzdem bekomme ich mit, was dort in etwa läuft. Einerseits, weil mir der ein oder andere Aufschrei in den sozialen Medien unterkommt. Andererseits weil ich in der Hundeschule reparieren darf, was das Fernsehen angerichtet hat. Das kommt gar nicht so selten vor.

Ein für alle Mal: Unterhaltungsshows sind kein Bildungsfernsehen. Es geht darin nur um die Quote und sonst nichts. Das Wohl der Hunde spielt dabei keine Rolle.

 

Ich habe irgendwann aufgehört die Postings, Podcasts, Blogparaden, Blogs und Interviews zu zählen, die ich zu diesem Thema gemacht habe. Wieder und wieder. Ich bin es so leid.

Blogparade „Wissen verändert die Welt“

Blogparade „Fair statt fies“

 

Wird Gewalt wieder gesellschaftsfähig?

In einem Gespräch im Kollegenkreis ging es neulich darum, ob Gewalt (in unserem Fall gegen Hunde) wieder mehr wird. Bis auf eine Kollegin waren alle der Meinung, die Tendenz Hunden (im Training) Gewalt anzutun, sei deutlich im Steigen. Vielleicht passt das zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, ich weiß es nicht.

Unfreundlicher Umgang mit dem Familienhund ist eine Sache, ihm tatsächlich Gewalt anzutun, nochmals eine andere. Man braucht nur beim Spaziergang aufmerksam, um sich zu schauen, da bekommt man allerhand zu sehen. Der Leinenruck zum Beispiel ist allgegenwärtig. Auch so manche Hilfsmittel, die ganz unverblümt zum Einsatz kommen, sind erschreckend. Schottergefüllte Plastikflaschen oder Blechdosen werden da mitgeschleppt, Wasserspritzen, Rasseldiscs – gruselig!  Und dann heißt es, es sei umständlich, einen Clicker und ein paar Futterstückchen mitzunehmen!

Und das alles, weil es immer noch Leute gibt, die nicht aus ihren altmodischen Denk- und Erziehungskonzepten herauswachsen, die auch 2023 noch auf dem Standpunkt stehen, man könne gutes Verhalten in einen Hund hineinprügeln oder -schreien.

Der Hund ist schuld

„Je „größer“ der Mensch den Hund wähnt, um so vehementer ist er leider bereit, ihn klein zu machen“ Mirjam Cordt

Natürlich ist es einfacher, den Hund verantwortlich zu machen, der einfach dumm, renitent oder bösartig ist, wenn irgendetwas nicht funktioniert, als sich selbst und das eigene Verhalten zu hinterfragen. Ob und wie logisch das aus Hundesicht ist, was wir tagtäglich von unseren Hunden erwarten, interessiert vielfach nicht. Dabei ist es tatsächlich so, dass „Bravsein“ für den Hund weitgehend bedeutet, sich völlig gegen seine Natur zu verhalten, NICHT zu bellen, wenn sich etwas Ungewöhnliches nähert, NICHT zu jagen, wenn ein Beutetier vor der Nase auftaucht, NICHT wegzurennen, wenn er Angst hat. Allein diese Überlegung rechtfertigt ein wenig Nachdenken, Trainingsaufwand und Übungszeit!

 

Wird mit Alphageschwafel und Dominanztralala trainiert, interessieren die Bedürfnisse des Hundes wenig. Er hat gefälligst zu parieren, egal ob er versteht, was er soll, oder nicht. Und egal, ob das Verlangte völlig gegen seine eigentlichen Bedürfnisse geht. Es wird mehr oder weniger massiv körperlich auf den Hund eingewirkt, er wird gedrückt, geschoben oder gar geschlagen und getreten, damit er z.B. die gewünschte Position einnimmt. Doch nicht nur körperliche Gewalt kommt zum Einsatz: der Hund wird angeschnauzt, eingeschüchtert, ja sogar bedroht, damit er XY ausführt oder unterlässt.

 

Die Krone der Schöpfung

Wir Menschen sind so stolz darauf, die Krone der Schöpfung zu sein. Wir bilden uns unendlich viel darauf ein, was wir alles wissen und was wir alles können. Und doch bleiben wir bei Theorien hängen, die schon lang überholt sind und sogar von jenen selbst widerrufen wurden, die sie einst aufgestellt haben (siehe Dominanztheorie).

Das österreichische Tierschutzgesetz spricht eine klare Sprache und untersagt Methoden, die auf Gewalt, Bedrohung und/oder Erschrecken basieren. Ebenfalls untersagt ist die Verwendung von Hilfsmitteln, deren Wirkung darauf basiert, dass sie wehtun oder den Hund erschrecken.

Wir wissen so viel heute über Hunde und ihr (Lern-)Verhalten. Es sollte sich herumgesprochen haben, dass Angst und Stress im Hundegehirn genauso desaströs wirken wie in unserem. Es gibt jede Menge (frei verfügbares) Wissen darüber, wie Hunde lernen, wie positive Verstärkung wirkt – und warum, über die Bedeutung von Vertrauen, Bindung und Beziehung im Mensch-Hund-Alltag und darüber, wie Hunde ihre Freude, ihre Unsicherheit und ihre Überforderung mitteilen.

 

„Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Hört man damit auf, treibt man zurück“ Laotse

TiertrainerInnen bringen Tigern, Elefanten und Alligatoren mittels positiver Verstärkung bei, selbst bei schmerzhaften Behandlungsvorgängen freiwillig mitzumachen, und dennoch gibt es noch immer Menschen, die behaupten, bei dieser Rasse, bei diesem Hund, bei diesem Thema funktioniert Lernen über positive Verstärkung nicht. Blamabel, wenn eine solche Aussage von einer sogenannten Fachperson kommt.

 

Der Hund als Bereicherung

Sie holen sich einen Hund ins Leben, weil Sie miteinander Freude haben möchten. Vielleicht ist es sogar ein Hund aus dem Tierschutz, den Sie gerettet haben. Sie lieben diesen Hund und Sie wünschen sich, dass dieser Hund auch Sie liebt. Und dann kommt jemand und fordert Sie auf, diesem Hund wehzutun. Ja, ein Leinenruck tut weh, ein Würge- oder Kettenhalsband, das sich zuzieht, tut weh. Der spitze Finger in den Nieren tut weh. An der Kruppe ins Sitz gedrückt zu werden, ist zumindest unangenehm und der Schauzengriff tut nicht nur weh, er ist eine massive Bedrohung für den Hund. Eine Bedrohung, die von Ihnen ausgeht. Von Ihnen, als der wichtigsten Bindungs- und BeziehungspartnerIn Ihres Hundes.

Bleiben Sie aufmerksam, wenn Ihnen jemand mit Quick-Fix-Vorschlägen kommt.

Gutes Training ist kein Knopf, auf den Sie drücken. Es ist ein Prozess, bei dem Sie lernen, das Verhalten Ihres Hundes zu verstehen und zu beeinflussen, um unerwünschtes Verhalten zu reduzieren und positives Verhalten zu fördern. Es zielt darauf ab, eine harmonische Beziehung zwischen Mensch und Hund aufzubauen, basierend auf Vertrauen, Respekt und Kommunikation.

 

Es ist Ihre Verantwortung

Es liegt in Ihrer Verantwortung als HundehalterIn, wie mit Ihrem Hund umgegangen wird und wie Sie mit Ihrem Hund umgehen. Sie allein treffen die Entscheidung, ob Sie eine Maßnahme umsetzen, die Ihnen jemand nahelegt. Überlegen Sie gut, bevor Sie sich für Gewalt und Bedrohung entscheiden.

Fragen Sie sich (und die vermeintliche Fachperson), was die Konsequenzen aus Ihrer Einwirkung sein werden.

„Was genau passiert mit meinem Hund, wenn er diese Einwirkung (den Leinenruck, den spitzen Finger, …) spürt?“

„Wie genau hilft ihm das, zu verstehen, was ich von ihm möchte?“

„Was macht es mit unserer Beziehung, wenn ich meinem Hund wiederholt Schmerzen zufüge oder ihn erschrecke?“

 

Es gibt immer eine freundliche Alternative

„Überall sollten die Anständigen die Zuständigen sein“ Fritz P. Rinnhofer

Es gibt IMMER eine faire und freundliche Alternative, glauben Sie mir. Niemand ist 2023 auf einen Trainingsansatz angewiesen, der den Hund einschüchtert oder ihm Schmerzen zufügt – oder einem selbst Unbehagen verursacht.

 

Ein guter Trainer, eine gute Trainerin nimmt sich Zeit für Ihre Fragen und Bedenken und kann Ihnen erklären, warum er/sie diesen Trainingsplan für geeignet erachtet.

Ein guter Trainer, eine gute Trainerin weiß um die Wichtigkeit einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Hund.

Ein guter Trainer, eine gute Trainerin kennt die Bedeutung einer entspannten  Lernatmosphäre und ist in der Lage, einen Trainingsplan so zu erstellen, dass Ihr Hund auf der Basis von Kooperation und Teamwork lernt, was er soll.

 

Sie haben das Recht auf Kompetenz und zeitgemäßes Fachwissen, wenn Sie professionelles Hundetraining in Anspruch nehmen. D.h., Sie haben auch das Recht auf fundierte Erklärungen. Hören Sie genau hin, wie gut Ihnen ein Trainingsansatz erklärt wird. Wenn Gewalt verharmlost wird, wenn es heißt „das tut dem doch nicht weh“ oder „die Hundemutter macht das auch so“, sollten Sie aufmerksam sein und genau hinschauen – und hinspüren. Wie fühlt sich das an, was man Ihnen da vorschlägt? Glauben Sie, dass diese Maßnahme der Beziehung zu Ihrem Hund förderlich sein wird? Ist sie vertrauensbildend?

 

Ich wünsche uns allzeit fröhliches Wedeln und einen Hund, der uns voll und ganz vertraut,

Eure und Ihre

Karin Immler

 

 

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