Gerade Hundeneulinge wünschen sich oft unbedingt einen Welpen, wenn die Entscheidung für einen Hund gefallen ist. Abgesehen davon, dass es entzückend ist, einen Hundewelpen heranwachsen zu sehen, haben viele auch eine sehr romantische Vorstellung davon, was es bedeutet, aus einem Hundebaby einen sozialkompetenten, wohlerzogenen Begleiter zu machen. „Ich kann ihn dann so erziehen, wie es für mich passt“, so die Überlegungen. Und damit man auch ja nichts versäumt, wird der Welpe auch noch so früh wie möglich von der Mutter weggeholt.

Welpe oder erwachsener Hund

Dabei fehlen vielleicht gerade Menschen, die zum ersten Mal ein Hundekind großziehen – natürlich nicht allen – der Weitblick und vor allem auch die Erfahrung, um diese so wichtige Welpenzeit wirklich optimal zu nützen.

Die Schwierigkeiten beginnen in Wahrheit bereits bei der Auswahl des Welpen. Auch wenn es inzwischen tausendfach gute Literatur zum Thema gibt, wählen die viele Menschen ihren Welpen ziemlich blauäugig aus. Angefangen von der Rasse, die in völlig unrealistischer Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und Lebensumstände ausgewählt wird, weil sie ach so pflegeleicht/kinderlieb/freundlich ist. Allzu oft wird dabei vergessen, dass Rassebeschreibungen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, im Grunde Werbeschriften für die einzelnen Rassen sind. Das Wording dieser Beschreibungen ähnelt in vielerlei Hinsicht einem Geheimcode, den man erst einmal entschlüsseln muss.

Erstaunlicherweise genießen ZüchterInnen einen immensen Vertrauensvorschuss und es wird kaum in Frage gestellt, was sie zu sagen haben, egal ob es um Zucht, Fütterung oder Erziehung geht. (Ich bin schon mehr als einmal mit den Erziehungsanleitungen eines Züchters, einer Züchterin auf Konfrontationskurs gegangen – und meistens habe ich verloren. Denn schließlich habe der Züchter, die Züchterin ja bereits 30 Jahre Erfahrung. Die habe ich auch – nebenbei bemerkt.)

 

Kinderlieb, pflegeleicht, selbsterziehend?

Kaum eine unbedarfte ErsthundeinteressentIn kommt auf die Idee, die Befähigung der Zuchtstätte zu hinterfragen, sich beim Zuchtverband nach Qualitätsmerkmalen zu erkundigen etc. Auch für die gesundheitlichen Schwachstellen einer Rasse interessieren sich eher erfahrene Hundeleute, die dann auch entsprechend gründlich recherchieren.

Des Öfteren wird mir berichtet, man habe sich für diese spezielle Rasse entschieden, weil der Bruder, die Freundin, die Nachbarin genauso einen Hund hielte, der so toll (und pflegeleicht) sei. Auf Nachfrage ist dann zu erfahren, dass dies der einzige Hund derjenigen Rasse war, den man näher kannte. So werden einzelne Individuen, nicht unbedingt repräsentativ, als Grundlage für die Kaufentscheidung herangezogen.

 

Die Mutterhündin als wichtigstes Vorbild

„Wenn der Hund erst auf der Welt ist, kann man also vieles nicht mehr ändern. Darum ist es so wichtig, auf die Herkunft des Hundes Wert zu legen – oder wenn man das nicht kann/will, sich darüber im Klaren zu sein, dass dieser Hund unter Umständen jede Menge Altlasten im Gepäck hat, mit denen man sich arrangieren muss“ Sophie Strodtbeck

Es ist gar nicht so einfach zu beurteilen, ob ein Welpe die idealen Aufzuchtbedingungen hat. Erst recht nicht, wenn man keinen Vergleich hat. Auch um die charakterliche Ausstattung der Mutterhündin realistisch einzuschätzen, braucht man Erfahrung oder zumindest reichlich angelesenes Wissen.

 

Einen Welpen gut erwachsen zu kriegen, ist ein Fulltime-Job, den viele nicht zu leisten bereit oder in der Lage sind. Versäumnisse fallen einem später garantiert auf den Kopf. Gerade Menschen, die gründlich planen und für alle Eventualitäten präpariert sein möchten, fallen aus allen Wolken, wenn das Hundekind sich nicht so verhält wie erwartet. Plan B gibt es dann nicht.

 

Sucht man mich vor Anschaffung des Hundes zu einem Beratungsgespräch auf, versuche ich neben der Wahl der Rasse auch der Frage auf den Grund zu gehen, warum es denn tatsächlich ein Welpe sein muss. Meistens steckt die Ansicht dahinter, die Aufzucht eines Welpen sei einfacher als die Eingliederung eines erwachsenen Hundes. Das stimmt allerdings so nicht.

Natürlich gibt es sie, die traumatisierten, schlecht sozialisierten, misshandelten und vom Schicksal gebeutelten Hunde aus dem Tierschutz, die kaum dazu zu bewegen sind, dem Menschen ein Mindestmaß an Vertrauen entgegenzubringen. Denen unsere Lebensumstände einfach viel zu viel sind und für deren Integration man jede Menge Geduld, Liebe, Zeit und Sachverstand aufbringen muss.

 

Hund sucht Lebensmenschen

In den Tierheimen und auf Pflegestellen warten aber auch viele Hunde, die wunderbar sozialisiert sind, brav an der Leine gehen, alleine bleiben können und vielleicht sogar eine Hundeschule besucht haben, verzweifelt auf eine neue Chance. Menschen werden krank und können sich nicht mehr um ihr geliebtes Tier kümmern. HundehalterInnen sterben oder sind nach einem Unfall unfähig, ihr Tier weiterhin zu betreuen. Hunde fallen einer Scheidung zum Opfer und landen im Tierheim, weil niemand mehr Zeit für sie hat. Menschen werden arbeitslos, verlieren ihre Wohnung und müssen sich schweren Herzens von ihrem Hund trennen. Viele dieser Hunde haben keine – oder kaum – Macken. Sie sind bereits stubenrein und verfügen über den sogenannten Grundgehorsam.

 

Es muss ein Welpe sein

“Kein Psychiater der Welt kann es mit einem Hund aufnehmen, der einem das Gesicht leckt” unbekannt

Warum ist es für so viele Menschen so schwer vorstellbar, einem solchen Hund ein liebevolles Zuhause zu bieten? Ist es das Gefühl, keinen Einfluss mehr zu haben auf die Persönlichkeit des Hundes? Hunde sind genau wie wir ein Leben lang lernfähig. Wobei man natürlich der Ehrlichkeit halber hinzufügen muss, dass diese Lernfähigkeit im Laufe des Lebens immer behäbiger wird und ein alter Hund seine Gewohnheiten nicht mehr so gerne verändert.

Ist es die Sorge, der erwachsene Hund könnte nicht ins eigene Leben passen? Das kann Ihnen auch mit einem Welpen passieren. Ein Hund ist ein Lebewesen, nicht alles, was kommt, nicht jede Entwicklung ist vorhersehbar, planbar. Manches passiert einfach! Genetik, Epigenetik, Vorbilder, Erlebtes und Erlerntes – ein bunter Cocktail ist es, der die Persönlichkeit Ihres Hundes ausmacht.

 

Kennenlernzeit

Bei einem erwachsenen Hund haben Sie in der Regel den Vorteil, dass Sie ihn in Ruhe kennenlernen können, bevor Sie ihn in Ihre Familie aufnehmen. Sie können sich unverbindlich beschnuppern und die Einschätzung von TierpflegerInnen, Pflegestelle oder VorbesitzerInnen in Ihre Überlegungen mit einbeziehen.

Keinesfalls möchte ich eine moralische Bewertung vornehmen, es sei grundsätzlich besser einen Hund aus dem Tierschutz zu wählen. Mir geht es darum, Ihnen eine weitere Option anzubieten und Sie zu ermuntern, zumindest darüber nachzudenken, ob nicht ein erwachsener Hund genau die richtige Wahl für Sie wäre.

NS: Bei der Gelegenheit darf ich Sie auch auf die Aktion10plus hinweisen, die von Petra Gruber ins Leben gerufen wurde. Wer im Rahmen dieser Aktion einen Hund adoptiert, der älter als 10 Jahre ist, kann als kleines Dankeschön viele tierbezogene Dienstleistungen zu Sonderpreisen in Anspruch nehmen.

Wie auch immer Sie sich entscheiden, ich wünsche Ihnen und Ihrem Hund eine gute gemeinsame Zeit.

Ihre

Karin Immler

 

Unterstützung auf dem Weg zum Dreamteam gibt es in Form der Welpen– und Junghundepakete.

 

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