Eine Geschichte von vielen:

der Familienrat der Schneiders, Mama, Papa, Sohn und Tochter, entscheidet, es kommt ein Hund ins Haus. Dann wird gemeinsam überlegt, ob es sich um einen Welpen oder einen erwachsenen Hund handeln soll und ob vom Züchter oder aus dem Tierschutz. Schließlich einigt sich Famile S., dass es ein junger Hund aus dem Tierschutz sein wird, nicht unbedingt ein Welpe, aber eben jung. Mutter möchte einen hellen Hund , weil schwarze Hunde vielen Angst machen. Vater will keinen mit langen Haaren – vielleicht weil der das Auto verdreckt ;), der Sohnemann möchte einen sportlichen Hund, der auch was hermacht und die Tochter, einen lieben Hund zum Schmusen und Tricksen. Soweit die Eckpfeiler für das Anforderungsprofil. Meistens gibt es eine gewisse Größenvorstellung, eben das ungefähre Alter und darüber hinaus weiß Familie S. ganz genau, was Sie überhaupt nicht haben möchte. Sabbern zum Beispiel, oder einen Hund, der dauernd bellt. Eben ein verträglicher und lieber neuer Hausgefährte mit dem man feine Spaziergänge machen kann und als Spielgefährte für die Kinder. Die Recherche beginnt. Das Internet ist voll mit Angeboten und die Beschreibungen der herbergsuchenden Hunde sind vielversprechend.

Familie S. clickt sich also durch Unmengen von Fotos und liest  auch die eine oder andere Beschreibung. Einige der Kandidaten fallen raus, weil sie zu klein, zu groß, zu sonstwas sind oder  aufgrund der Beschreibung, die im Allgemeinen nicht sehr ausführlich ausfällt. Im Grunde, wenn wir ehrlich sind, werden hauptsächlich die Fotos angeschaut.

Der Hund ist da

„Viel mehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind“ Joanne K. Rowling

Die Entscheidung wird getroffen und ein kleinwüchsiger Mischling, ein entzückendes Hundemädchen von 6 Monaten, ausgewählt. Am Tag X darf Familie S. das neue Familienmitglied am Treffpunkt abholen. So eine Übergabe hat wenig Idyllisches. Ein  Mann reicht Familie S. das kleine Fellbündel  aus einem LKW. Der EU-Impfpass noch und wenn es hochkommt eine kurze Leine und das war’s.

Man könnte meinen, die kleine Hündin wäre froh, der Hölle entronnen zu sein. Aber nein, die ist erst einmal nur abgekämpft. Hunderte LKW-Kilometer auf engstem Raum mit ängstlichen, panischen, bellenden und weinenden Hunden hat das Hundemädchen hinter sich und nun ist es fremd unter Fremden und in einer völlig unbekannten und höchst bedrohlichen Umgebung.

Zur Enttäuschung der Kinder schläft die Kleine zuhause sofort ein. Noch nicht einmal die schönen Spielsachen kann man zeigen, die extra für sie angeschafft worden waren. Am nächsten Morgen stinkt es im Flur, obwohl der Vater ja nachts zweimal mit dem erschöpften Hund vors Haus gegangen war, damit er sich lösen kann. Hat er aber nicht, im Gegenteil, der Hund, nennen wir ihn Sira, wollte umgehend wieder hinein.

Und damit nimmt das Drama seinen Lauf: keine netten Spaziergänge mit Sira, die will nämlich nicht vor die Türe. In der Wohnung wohnt sie unter der Eckbank und wagt sich kaum hervor. Streckt sie doch einmal das Näschen heraus, reicht das kleinste Geräusch und sie versteckt sich  im hintersten Winkel. Nachts klaut sie einen herumliegenden Schuh und kaut darauf herum – der ist natürlich kaputt. Das anfängliche Verständnis für das kleine Mäuschen weicht schnell der Ungeduld und der Verzweiflung. So hat man sich das Leben mit Hund nicht vorgestellt. Wie soll das bloß weitergehen?

An der Stelle kommt die TrainerIn ins Spiel

Es ist ein undankbarer Job, Menschen erklären zu müssen, dass ihre Vorstellung vom Leben mit Hund vielleicht (ein bisschen) unrealistisch war – zumindest für die nächste Zeit. Meist folgen dann lange Gespräche, viele Telefonate,  Zweifel und Unsicherheiten, dann wieder Entschlossenheit und Zuversicht.

Der erste Knackpunkt ist meiner Erfahrung nach so ca. nach 3 Wochen. Die Kinder lieben den Hund inzwischen heiß und wollen ihn nicht mehr hergeben. Doch jetzt, jetzt hat er geknurrt oder gar geschnappt. Das geht gar nicht! Warum macht der das? Wo wir ihm doch so ein schönes Leben bieten.

Müssen wir uns jetzt von unserem romantischen Mensch-Hundekumpel-Bild verabschieden? Schaffen wir das so, wie die TrainerIn es uns erklärt hat? Wie ist das alles mit unserem Leben, unseren Vorstellungen vereinbar? Wollen wir uns so sehr einschränken, diese vielen, kleinen, oft winzigen Schritte mit diesem Hund machen? Bringen wir die Kinder in Gefahr? Was ist mit unseren Freunden?

Alle diese Fragen sind legitim und nachvollziehbar.

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Nein, wir werden den Hund nicht behalten

Vor einiger Zeit habe ich wieder einen Fall erlebt, in dem die Antwort auf diese Fragen „nein“ war.

Nein, wir können oder wollen das nicht.

Nein, wir haben uns das ganz anders vorgestellt.

Nein, wir werden diesen Hund nicht behalten.

Mir blutet das Herz. Mir ist zum Weinen! Für die Menschen und für den Hund. Für die Menschen, die sich so freudig und fröhlich und mit den allerbesten Vorsätzen auf diesen Hund vorbereitet haben. Für die Eltern, die ihren Kindern ermöglichen wollten, mit Hund aufzuwachsen. Für die Kinder, die sich so sehr gefreut haben, endlich einen Hund zu haben, mit ihm zu spielen und zu schmusen.

Und für den Hund! Was bedeutet diese Entscheidung für Sira, die in ihrem kurzen Leben schon so einige dramatische Veränderungen mitgemacht hat? Wenn sie Glück hat, landet sie auf einer Pflegestelle in Österreich. Und wenn sie richtig viel Glück hat, auf einer guten, wo sie Zeit und Unterstützung bekommt, sich auf ihre neue Umgebung mit all den ungewohnten Geräuschen, Gerüchen und Bewegungen, auf neue Gegebenheiten, Abläufe und Regeln einzustellen. Wenn sie Glück hat!

Wenn nicht, landet sie wieder im Tierheim, vielleicht diesmal in einem österreichischen, und darf dort auf eine neue Vermittlung warten.

Und die Moral von der Geschicht‘?

„Kluge Entscheidungen sind die, bei denen Kopf und Bauch, Verstand und Gefühl koordiniert sind“ Maja Storch

Sie fragen sich jetzt vielleicht, warum ich das alles hier aufgeschrieben habe. Auf keinen Fall, um irgend jemandem einen Vorwurf zu machen. Und auch bestimmt nicht, um Ihnen abzuraten, einen Hund aus dem Auslandstierschutz zu adoptieren. Ich möchte aber an Sie appellieren, sich nicht leichtfertig für einen Hund zu entscheiden. Denn diese Entscheidung wird Ihr Leben und das des Hundes verändern, nachhaltig verändern.

Wenn Sie einen Hund in Ihr Leben holen, übernehmen Sie Verantwortung. Einen Hund kann man nicht einfach umtauschen, wie einen Pullover, den man zu groß gekauft hat. So ein Hund – und noch dazu einer aus dem Tierschutz – braucht Sicherheit und Kontinuität. Er braucht Verständnis und Führung. Liebhaben alleine wird nicht reichen!

Mit Bedacht entscheiden

Nehmen Sie Beratungsangebote in Anspruch, in denen es um die Auswahl des richtigen Hundes geht. Viele KollegInnen bieten so wie ich kostenlose Beratungen vor der Anschaffung an. Erkundigen Sie sich über die Organisation, bei der Sie sich umsehen. Fragen Sie nach, lassen Sie sich Videos und Bilder vom Hund und der Unterbringung schicken, telefonieren Sie.

Je mehr Sie über den Hund und seine  Lebensumstände in Erfahrung bringen können, umso besser. Freuen Sie sich, wenn es einen ausführlichen Anforderungskatalog für mögliche AdoptantInnen gibt, der auf sorgfältige Vermittlung hinweist. Nehmen Sie sich Zeit und bereiten Sie sich auf die Vorplatzkontrolle vor, die eine gute Vermittlungsorganisation vornehmen wird. Bereiten Sie sich vor, heißt nicht, putzen Sie und bringen Sie das Haus auf Vordermann. Nein, sammeln Sie Ihre Fragen, bringen Sie Ihre Zweifel und Ängste vor. Wird man Sie nach der Übergabe des Hundes weiterhin unterstützen? Ist jemand da, der Ihre Fragen beantworten kann?

Lassen Sie sich Zeit. Übereilen Sie nichts, weil ein Foto an Ihr Herz rührt. Natürlich muss der Funke überspringen, aber darüber hinaus gibt es auch Fakten, die Sie beachten sollten.

Seien Sie ehrlich, was die eigenen Lebensumstände und Ihre Bereitschaft betrifft, sie an den Hund und seine Bedürfnisse anzupassen.

  • Wird ein Hund, von dem man weiß, dass er Angst vor Menschen hat, in Ihrem innerstädtischen Leben mit Schaufensterbummel und Kaffeehausbesuch en nicht womöglich sehr schnell zur „Spaßbremse“ und zur Belastungsprobe für Ihren Freundeskreis?
  • Ist ein Herdenschutzhund wirklich der richtige Gefährte für Sie, wenn Sie in einem hellhörigen Wohnblock zuhause sind und am Wochenende gerne durch die Häuser ziehen?
  • Ist ein Welpe oder Junghund eine gute Wahl, wenn Sie nur 2 Wochen Urlaub haben und er dann täglich ein paar Stunden allein sein muss?
  • Beschummeln Sie sich nicht.
  • Der Hund darf mit zur Arbeit. Wie schön! Aber was ist, wenn das nicht von Anfang an reibungslos funktioniert, weil der Hund KundInnen anbellt oder niemanden mehr zur Türe rein lässt.
  • Wie ist es um Ihre Belastbarkeit bestellt, wenn der neue Hund NICHT innerhalb von 2 Wochen stubenrein ist, wenn er sich die Seele aus dem Leib kotzt oder vor lauter Aufregung Durchfall hat?
  • Was ist, wenn der Hund das alles (oder einiges davon) nicht kann, was Sie von ihm erwarten?
  • Wie viel Zeit haben Sie für Training und fürs Üben, um den Hund sachte an Herausforderungen heranzuführen, die Sie nie als solche erachtet hätten?
  • Wie viel Verständnis und Unterstützung können Sie aus Ihrem Umfeld erwarten? Wer ist da, wenn Sie eine Hunde-Pause brauchen?
  • Wie lange halten Sie durch, wenn es schwieriger wird, als gedacht?
  • Auch die finanzielle Seite will bedacht werden. Wieviel Geld sind Sie bereit für TierärztIn, Physiotherapie und Training auszugeben?

Nein, ich will Sie nicht davon abhalten, einen Hund aus dem Tierschutz aufzunehmen. Bis auf meinen ersten Hund, stammten meine eigenen auch aus dem Tierschutz. Ich will Sie nur auf die Tragweite Ihrer Entscheidung hinweisen.

Was ich hier schreibe, ist keineswegs als pauschale Verurteilung ausländischer Tierheime und vermittelnder Organisationen gedacht, wenn ich mir auch manchmal mehr Sorgfalt bei der Vergabe wünschen würde. Gott sei Dank weiß ich, dass es ganz wunderbare Personen gibt, die mit großer Hingabe und mit ebenso viel Herz wie Verstand Hunde und Menschen zusammenbringen. Aber ich möchte auch hier appellieren: Vermittlung um jeden Preis kann nicht die Lösung sein. Zuviel Kummer und Herzeleid kommt dabei heraus, vom traurigen Schicksal der Hunde einmal abgesehen.

Wenn Sie einem Hund aus dem Auslandstierschutz eine Chance geben wollen, dann tun Sie das bitte unbedingt – nach reiflicher Überlegung und ehrlicher Bestandsaufnahme. Und wenn ich Sie dabei beraten und unterstützen darf, herzlich gerne. Ich freue mich auf Ihre Kontaktaufnahme.

Ich wünsche Ihnen viel fröhliches Wedeln in Ihrem Leben und freue mich über Kommentare und Anregungen.

Eure und Ihre

Karin Immler

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