Sind Sie schon einmal übersiedelt? Im Normalfall haben Sie sich die Gegend vorher gut angesehen. Sie wissen, dass es geschehen wird, wann es geschehen wird und haben eine Vorstellung davon, wie es dort sein wird. Sie sind gut vorbereitet und dennoch wird es vermutlich eine ganze Weile dauern, bis sie sich heimisch fühlen, bis sie angekommen sind, dort wo sie hin gezogen sind. Für einen Hund ist das wesentlich dramatischer, er ist nicht darauf vorbereitet, dass seine Welt über Nacht eine völlig andere ist.

 

Ein Hund muss her!

Gefühlt hat sich ja Gott und die Welt in den letzten Monaten einen neuen Hund zugelegt. Wobei mir schon die Formulierung wehtut, „zugelegt“. „Herr M hat sich eine neue Freundin zugelegt.“ Das klingt nicht gerade nach einer liebevollen Beziehung, finde ich. „Ich habe mir eine neue Heizdecke zugelegt“, lässt wenigstens etwas Wärme vermuten. smiley  „Wir haben uns einen Hund angeschafft!“ lässt mich ebenfalls zusammenzucken. Ein Hund ist doch keine Anschaffung, da geht es doch wohl mehr um eine Adoption.

 

Schon im letzten Lockdown meinten etliche Menschen, es wäre doch nett, einen Hund zu haben. Bereits im Sommer verloren etliche dieser Hunde ihr Zuhause wieder, landeten im Tierheim oder man ist den neuen Hund auf irgendeine andere Art und Weise wieder losgeworden. Waren das alles böse Menschen? Ich glaube nicht. Oberflächlichkeit dagegen wage ich zu unterstellen und auch ein gewisses Maß an Empathielosigkeit. Vielfach waren diese Menschen einfach überfordert und hilflos.

 

Wer sich ein Auto oder einen Wohnzimmerschrank kauft, befasst sich in der Regel sehr intensiv damit, lässt sich von unterschiedlichen Seiten beraten, sucht den TÜV auf und überlegt sehr gut, bevor er/sie zugreift. Wer sich einen Hund „zulegt“, macht das womöglich aus einer Laune heraus, aus dem – verständlichen – Bedürfnis, eine emotionale Lücke zu schließen. Wie gesagt, ich finde es sehr verständlich. Und erst recht in dieser verrückten Coronazeit, in der das Wort Einsamkeit eine neue Bedeutung bekommen hat.

 

In den letzten Wochen habe ich einige Beratungsgespräche geführt, in denen es um die Entscheidung ging, einen Hund zu sich zu nehmen oder eben nicht. Ich mache so etwas sehr gerne. Es ist absolut unterstützenswert, wenn jemand sich gut auf das neue Familienmitglied vorbereitet.

 

Tierheim statt Homeoffice

Natürlich war ein wichtiger Aspekt in diesen Gesprächen, wie das mit dem Hund geht, wenn sich unser Leben wieder halbwegs normalisiert, wenn statt Home-Office wieder Büro oder Geschäftsreise angesagt ist und auch private Vergnügungen, Partys, Konzerte und dergleichen wieder möglich sind. Das ist eine Frage, die man sich unbedingt stellen muss, wenn man jetzt einen Hund zu sich nimmt.

 

Alle anderen Überlegungen waren schon vor Corona wichtig und sind es immer noch.

  • Was erwarten Sie von Ihrem Hund?
  • Wobei soll er Sie begleiten? Was soll er alles mitmachen?
  • Wie schaut Ihre Tagesstruktur, Ihr Alltag aus?
  • Wie viele Menschen sind beteiligt und ziehen diese alle an einem Strang?
  • Was für ein Typ sind Sie selbst? Und was für ein Hundetyp passt da dazu?
  • Sind Sie bereit, geduldig zu sein, dem Hund Zeit zu gehen und ihn zu unterstützen?
  • und und und

 

 

Schöner leben mit dem Hund?

Da ist dann die Rede von ausgedienten Spaziergängen im Grünen, von ausgedehnten Wanderungen. Wie schön der Hund es haben würde, er dürfte ja sogar mit ins Büro und auch sonst überall mit hin. Die Kinder freuen sich schon so auf den neuen Hund, die Oma übernimmt das Hundesitting, wenn es gelegentlich notwendig ist. Und alle sind schon aufgeregt.

Alles verständlich, alles nachvollziehbar, alles einleuchtend.

„Zeit die wir uns nehmen, ist Zeit, die uns etwas gibt“ Ernst Ferstl

Was aber ist, wenn dieser Hund Angst hat, die Wohnung zu verlassen? Wenn an einen gemütlichen Spaziergang gar nicht zu denken ist, weil er alles anbellt, was sich bewegt? Wenn er vor den Kindern flieht oder sie womöglich anknurrt? Und die Oma den Hund nicht ausführen kann, weil er sie an der Leine durchs Dorf zieht?

Dann ist oft ganz schnell Schluss mit lustig!

 

Ich verstehe, wenn Menschen dann überfordert sind. Ich verstehe, wenn man mit Beruf, Kindern und anderen Verpflichtungen nicht die Energie hat, einem Hund mit besonderem Bedarf den Weg ins Leben zu ebnen. Denn das kann einen schon an die persönlichen Grenzen bringen. Aber das sollte man sich vorher überlegen.

 

Beratung VOR dem Hundekauf

Lassen Sie sich beraten. Viele KollegInnen bieten sogar eine kostenlose Sprechstunde an, um Sie bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen. Betreiben Sie gründliche Recherche, nicht nur was den Hund selbst betrifft, die Rasse bzw. die Rasseanteile, die Vorgeschichte des Tieres.  Auch ein kritischer Blick auf die vermittelnde Organisation oder auf die Zucht und deren Hintergrund ist wichtig. Derzeit werden von vermeintlichen Züchtern um horrendes Geld die verrücktesten Mischkulanzen an gutgläubige Menschen verkauft, durchaus auch mit „Papieren“. Aber ehrlich: Beim Autokauf würden Sie ja auch kein selbstgebasteltes TÜV-Pickerl akzeptieren.

 

 

Tierschutz ist wichtig und einem Hund aus dem Tierschutz ein Zuhause zugeben, ist eine wunderbare Sache. Wenn es allerdings Ihr erster eigener Hund ist, Ihre Erfahrung und Ihre persönlichen Ressourcen begrenzt sind, muss es doch nicht unbedingt ein Hund aus dem Auslandstierschutz und/oder mit einer schwierigen Vorgeschichte sein. Abgesehen davon, dass es wichtig ist, den möglichen neuen Familienhund persönlich kennenzulernen und ihn vielleicht mehrfach zu besuchen, spricht noch vieles für einen Hund „von da“. Ist er nämlich unter ähnlichen Lebensumständen aufgewachsen, wie Sie sie zu bieten haben, wird er sich bestimmt leichter integrieren.

 

Wofür Sie sich auch entscheiden: Es sollte einleuchtend sein, dass dieser neue Hund, egal ob Welpe oder erwachsener Hund, ob vom örtlichen Tierschutz oder aus der Auffangstation, erst einmal Zeit braucht, um sich überhaupt zu orientieren und anzukommen. Was Zeit in Tagen, Wochen oder Monaten bedeutet, hängt vom jeweiligen Hund und dessen Geschichte ab.

 

Von einem Hund aus dem Shelter zu erwarten, dass er nach zwei Wochen anständig an der Leine durch die Innenstadt spaziert, ist im Grunde ein Frevel. Es kann so sein, ja es gibt diese Hunde, die sich wunderbar schnell hineinfinden, sofort Vertrauen entwickeln und wie selbstverständlich in der neuen Lebens Umwelt Fuß fassen. Darauf verlassen würde ich mich nicht.

 

  • Was ist, wenn es länger dauert?
  • Was ist, wenn dieser Hund Schwierigkeiten hat in seiner neuen Umwelt klar zu kommen?
  • Wenn dieser Hund Angst hat in seiner neuen Welt?

„Kluge suchen die Erfahrung aus, die sie machen möchten“ Aldous Huxley

Können Sie damit umgehen, können Sie das stemmen, sind Sie bereit, die Zeit, die Energie und auch das Geld zu investieren, um diesen Hund ins Leben zu führen? Sind Sie bereit, Ihr Leben darauf abzustimmen, was mit diesem Hund machbar und möglich ist? Ihre Ausflüge, Ihre Urlaube, Ihre privaten Unternehmungen dem anzupassen?

 

Es mag Menschen geben, die den Hund, der sich als so schwierig herausstellt, einfach entsorgen, irgendwo abgeben und zur Tagesordnung übergehen. Aber für die meisten ist es bestimmt nicht so einfach. Und spätestens, wenn Kinder beteiligt sind, fließen viele Tränen, wenn der Hund wieder „weg muss“. Wie muss es erst dem Hund dabei ergehen, der wieder aus seiner Welt gerissen wird? Schwer auszumalen.

 

Welcher Hund passt zu mir?

Tierschutzhunde sind anders! Sind Tierschutzhunde anders?

 

Es ist keinesfalls so, dass ich jemanden entmutigen möchte, sich einen neuen Gefährten aus dem Tierschutz zu holen. Aber ich mahne zu einer guten Vorbereitung, zu einer ehrlichen Selbsteinschätzung und zu einem realistischen Blick auf die eigenen Möglichkeiten. Ich weiß, dass viele derzeit die Ressourcen haben, sich rund um die Uhr um einen Hund zu kümmern. Doch wie schaut es in ein paar Wochen aus, wenn die Regelungen lockerer werden? Wie geht es dann weiter mit dem Hund?

 

Ich wünsche Ihnen einen guten Riecher in Sachen Hund und freue mich wie immer über Ihre Kommentare und Anregungen.

Eure und Ihre

Karin Immler

 

NS: Wenn Sie sich Unterstützung wünschen, besonders für die erste Zeit mit Ihrem neuen vierbeinigen Gefährten, dann melden Sie sich bei mir. Ich würde mich freuen, Sie ein Stück des Weges begleiten zu dürfen.

 

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