Vom Wunsch nach Nähe zur Verantwortung im Training
Warum Hunde faire Erziehung verdienen
Oft schon habe ich diese Frage gestellt: Warum möchten Menschen einen Hund in ihrem Leben haben – oder warum haben sie sich einen zugelegt, wie man das heute nennt?
Warum ein Hund?
Warum haben Sie einen Hund gewählt?
Bevor Sie weiterlesen, nehmen Sie sich gerne ein paar Minuten Zeit, um diese Frage für sich selbst zu beantworten. Was war für Sie ausschlaggebend?
Denn genau hier beginnt, was gutes Hundetraining im Kern ausmacht: die Frage nach unseren eigenen Erwartungen und unserer Verantwortung.
Vorausschicken möchte ich, dass in meinem Kundenkreis selten Menschen sind, die ihren Hund dienstlich führen. Viele der Hunde, die ich begleite, arbeiten jedoch als Therapiebegleithunde, Schulhunde, Lesehunde oder Besuchshunde – oder sie stehen kurz davor, diesen Weg einzuschlagen.
Einige der Antworten, die ich bekommen habe:
💟 Ich bin jetzt in Pension und habe endlich Zeit für Ausflüge und Wanderungen – und dafür wünsche ich mir Begleitung.
💟 Ich möchte, dass mein Kind mit einem Haustier aufwächst, für das es Verantwortung übernimmt und mit dem es sich beschäftigen kann.
💟 Meine Frau ist gestorben, und mein Sohn sollte einen Freund an seiner Seite haben, der ihn tröstet und auf andere Gedanken bringt.
💟 Ich hatte einen Herzinfarkt, und der Arzt meinte, ich müsse mehr spazierengehen. Oder: Ich bin gerne draußen – ein Hund passt einfach zu meinem Lebensstil.
💟 Ich war einsam. Mit einem Hund kommt man leichter mit anderen Menschen in Kontakt.
💟 …
Diese persönlichen Geschichten unterscheiden sich im Detail, doch im Kern verbindet sie etwas Wesentliches: Menschen wünschen sich Nähe, Bewegung, Lebensfreude, Trost und Gemeinschaft – und hoffen, all das mit einem Hund zu finden.
Was Hunde bewirken
Mit Hund gegen die Einsamkeit 🔸
Hundemenschen sind kommunikativer. Kinder, die mit Hunden aufwachsen, zeigen oft ein deutlich besseres Kommunikationsverhalten. Erwachsene kommen über den Hund schnell ins Gespräch und knüpfen Kontakte. Hunde trösten uns – auf ihre Art – und helfen, emotionale Belastungen besser zu bewältigen.
G’sund mit Hund 🔸
Menschen, die mit Hunden leben, verbringen mehr Zeit im Freien und bewegen sich regelmäßig – auch bei schlechtem Wetter. Statistisch gesehen gehen HundebesitzerInnen seltener zum Arzt, haben ein stärkeres Immunsystem und weniger Probleme mit Blutdruck und Cholesterin. Die regelmäßigen Spaziergänge fördern die Fitness von Mensch und Hund gleichermaßen.
Stimmungsmacher Hund 🔸
Hunde bringen Leben ins Haus, Humor in den Alltag und Leichtigkeit in herausfordernde Tage. Sie genießen den Augenblick – und stecken uns damit an.
🔸 Zusammengefasst 🔸
Hunde verbessern unsere Lebensqualität. Sie machen unser Leben ein bisschen reicher, ein bisschen bunter und ein bisschen fröhlicher.
Aber: Ein Hund bedeutet auch Verantwortung
Nicht nur die Pflege eines Hundes braucht Zeit und Energie. Vor allem der Aufwand für die Erziehung zu einem souveränen, alltagssicheren Familienbegleiter wird häufig unterschätzt.
Wenn Sie überlegen, welche Herangehensweise für Sie und Ihren Hund die richtige ist, um ein Erziehungsproblem zu lösen, dann erinnern Sie sich bitte daran, warum Sie sich für einen Hund entschieden haben – und warum dieses Tier – auf Ihren Wunsch, nicht auf seinen – in Ihr Leben gekommen ist.
Ein Hund ist mehr als ein Haustier
Wenn Sie sich diese Beweggründe noch einmal bewusst machen, wird schnell klar: Viele Hunde übernehmen Aufgaben, die weit über „Haustier“ hinausgehen. Manche sind als Therapie-, Schul- oder Besuchshunde im Einsatz und schenken Menschen Nähe, Sicherheit und Trost – oft dort, wo menschliche Unterstützung an ihre Grenzen kommt.
Doch auch die „normalen Familienhunde“ tragen uns durch schwere Zeiten, trösten Kinder und Erwachsene, begleiten uns schweigend durch schwierige Phasen und fröhlich durch leichte Tage. Sie sind da – bedingungslos.
Ein Tier, das so viel gibt, verdient einen Umgang, der diesem Geschenk gerecht wird. Es ist ein Widerspruch, einem Hund, der unser Leben wärmer und menschlicher macht, mit Härte oder Druck zu begegnen. Gerade Hunde, die als Stütze für Kinder oder als therapeutische Partner wirken, brauchen eine Ausbildung, die auf Vertrauen basiert – nicht auf Einschüchterung. Nur ein Hund, der sich sicher fühlt, kann anderen Sicherheit schenken.
Wer sich einen Hund wünscht, um das eigene Leben oder das eines Kindes zu bereichern, übernimmt damit eine besondere Verantwortung: die Verantwortung, diesen Hund fair, verständnisvoll und fachkundig zu begleiten.
Was gutes Hundetraining wirklich ausmacht
Dieser Text erscheint im Rahmen der VÖHT-Blogparade „Warum Leckerchen nicht alles sind“
„Die Wurzeln der Dankbarkeit sind in der Tiefe des Herzens verwurzelt.“ Ralph Waldo Emerson
„Die Wurzeln der Dankbarkeit sind in der Tiefe des Herzens verwurzelt.“ Ralph Waldo Emerson
Immer wieder wird suggeriert, bedürfnisorientiertes Training bestünde einzig darin, wahllos Leckerchen zu verteilen – ohne Regeln, ohne Grenzen, ohne Struktur. Diese Behauptungen zeichnen ein Bild, das mit moderner Lerntheorie und verantwortungsvoller Erziehung nichts zu tun hat.
Wer so argumentiert, legt vor allem eines offen: mangelndes Fachwissen.
Gerade Hunde, die im therapeutischen, pädagogischen oder sozialen Einsatz zuverlässig arbeiten sollen, brauchen:
- klare Orientierung
- gut vermittelte Signale
- eine tragfähige Beziehung
- ein Training, das ihre körperlichen und emotionalen Möglichkeiten berücksichtigt
Das hat nichts mit Beliebigkeit oder „Kekstante“ zu tun.
Was gutes Training wirklich bedeutet
Gutes Hundetraining geht weit über Wattebausch- und Leckerchenwerfen hinaus, es
- erkennt Möglichkeiten und Potenziale
- berücksichtigt Grenzen
- gestaltet Lernsituationen, in denen der Hund erfolgreich sein kann
- orientiert sich an Bedürfnissen
- setzt klare Regeln
- vermittelt Orientierung
- und setzt Grenzen fair und verständlich
Was gutes Training niemals braucht, sind Härte, Drohgebärden oder Gewalt.
„Gewalt führt nie zu Vertrauen“ unbekannt
„Gewalt führt nie zu Vertrauen“ unbekannt
Menschen greifen mitunter auch zu Methoden, die mit gutem Hundetraining nichts zu tun haben – aus Überforderung, aus Verzweiflung, weil sie selbst unte Druck stehen oder einfach schlecht beraten wurden – leider.
Ein Hund lernt nicht besser, nur weil man lauter, grober oder unangenehmer wird. Im Gegenteil: Wer einen Hund einschüchtert, zerstört genau jene Grundlage, die er sich gleichzeitig erhofft – Vertrauen, Stabilität, Nähe. Ganz abgesehen davon, dass Angst und Schmerz dem Lernen „gehirntechnisch“ im Weg stehen. Oder könnten Sie sich aufs Vokabellernen konzentrieren, während ich Ihnen dabei auf die Zehen trete und Sie anschreie?
Gutes Training braucht Fairness, Wissen – und vor allem Wohlwollen gegenüber einem fühlenden Lebewesen, das uns jeden Tag so viel schenkt.
Zum Abschluss: Zurück zu den eigenen Beweggründen
Warum wollten Sie einen Hund in Ihrem Leben haben?
Was sollte er Ihnen schenken – und was wollten Sie ihm geben?
Wenn Sie diese Fragen ehrlich beantworten, wird deutlich:
Ein respektvoller Umgang und eine faire, fachkundige Erziehung sind keine „Option“, sondern eine logische Konsequenz dieser Entscheidung. Hunde bereichern unser Leben auf so vielfältige Weise – sie verdienen, dass wir ihre Bedürfnisse ernst nehmen, ihre Signale verstehen und ihnen Wege zeigen, die sie ohne Angst gehen können.
Gutes Hundetraining ist Ausdruck von Wertschätzung, Wohlwollen und Zuwendung.
Es baut auf Zusammenarbeit statt auf Unterdrückung, auf Klarheit statt auf Härte und auf Beziehung statt auf Druck.
Wenn wir unseren Hund so begleiten, wie er es braucht, schenkt er uns genau das zurück, weshalb wir uns ursprünglich für ihn entschieden haben – Vertrauen, Freude, Leichtigkeit und ein Stück Lebensglück, das man nicht in Worte fassen kann.
Ich wünsche Ihnen, dass Ihr Hund Ihr Leben verschönert und Sie das seine.
Eure und Ihre
Karin Immler
STUDIEN ZUM THEMA:
Vieira de Castro et al. (2020) Studie zu Stress, Cortisol und „cognitive bias“ bei strafbasiert trainierten Hunden.
APA-Zitierung: Vieira de Castro, A. C., Barrett, J., de Sousa, L., & Olsson, I. A. S. (2020). Does training method matter? Evidence for the negative impact of aversive-based methods on companion dog welfare. PLOS ONE, 15(6), e0225023. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0225023
Kernaussage: Aversiv trainierte Hunde zeigen mehr Stresssignale, höhere Cortisolwerte und entwickeln häufiger einen pessimistischen Erwartungsstil – ein Hinweis auf reduziertes Wohlbefinden.
Ziv (2017) Umfassende Übersichtsarbeit zu wissenschaftlichen Befunden über aversive Methoden.
APA-Zitierung: Ziv, G. (2017). The effects of using aversive training methods in dogs—A review. Journal of Veterinary Behavior, 19, 50–60. https://doi.org/10.1016/j.jveb.2017.02.004
Kernaussage: Aversive Methoden erhöhen das Risiko von Angst, Stress und Aggression, ohne nachweisbare Vorteile gegenüber belohnungsbasiertem Training zu zeigen.
Cooper et al. (2014) Vergleichsstudie zu Schockhalsbändern vs. alternativen Methoden.
APA-Zitierung: Cooper, J. J., Cracknell, N., Hardiman, J., Wright, H., & Mills, D. (2014). The welfare consequences and efficacy of training pet dogs with remote electronic training collars in comparison to reward‐based training. Journal of Veterinary Behavior, 9(5), 207–214. https://doi.org/10.1016/j.jveb.2014.04.003
Kernaussage: Schockhalsbänder führen zu mehr Stress, Verunsicherung und Fehlverhalten, während belohnungsbasiertes Training effektiver und tierschonender ist.
Hiby et al. (2004) – Trainingserfolg, Hiby, E. F., Rooney, N. J., & Bradshaw, J. W. S. (2004). Dog training methods: their use, effectiveness and interaction with behaviour and welfare. Animal Welfare, 13, 63–69.
Kernaussage: Belohnungsbasiertes Training ist mit höherer Gehorsamkeit und weniger Problemverhalten verbunden als strafbasiertes Training.
Schalke et al. (2007) – physiologische Effekte von Bestrafung, Schalke, E., Stichnoth, J., Ott, S., & Jones-Baade, R. (2007). Clinical signs caused by the use of electric training collars on dogs in everyday life situations. Applied Animal Behaviour Science, 105(4), 369–380.
(Klassische Studie über Stress und Schmerzen durch E-Halsbänder.)
