„Der soll sich nicht so anstellen!“
Und ehe man sich versieht, wird der Hund unsanft in den Schwitzkasten genommen oder auf den Behandlungstisch niedergedrückt. Ist Ihnen das auch schon passiert? Oder haben Sie ähnliches gehört: „Da muss er durch!“, „Es geht halt nicht anders“, „Der stellt sich aber an!“ Als Besitzer fühlt man sich in solchen Momenten hilflos und unwohl – gegenüber dem Hund und dem Tierarzt. Man bekommt den Eindruck, nur der eigene Hund würde sich so „schwierig“ benehmen, während alle anderen brav sind.
Ein unangenehmes Gefühl und vielleicht schämen Sie sich sogar.
Aber warum eigentlich dieser ruppige Umgang?
Niemand würde auf die Idee kommen, einen Tiger, ein Zebra oder ein Krokodil für eine Impfung in den Schwitzkasten zu nehmen. Im Zoo oder bei der Wildtierpflege wählt man andere Methoden – man setzt auf Medical Training und Kooperation.
„Gibt es schließlich eine bessere Form, mit dem Leben fertig zu werden, als mit Liebe und Humor?“ Charles Dickens
„Gibt es schließlich eine bessere Form, mit dem Leben fertig zu werden, als mit Liebe und Humor?“ Charles Dickens
In den letzten Jahren hat sich eine Trainingsrichtung entwickelt, die immer mehr Zuspruch findet und genau diese Herausforderungen adressiert: das Medical Training, spezialisiert auf Tierarztbesuche und Pflegevorgänge. Dieser Ansatz integriert eine Vielzahl von Methoden: von Entspannungsübungen und Desensibilisierung bis hin zu Kooperationssignalen. All das ermöglicht es Ihrem Hund, in Ihrer Begleitung selbst die schwierigsten Situationen souverän zu meistern.
Denken Sie an die Umsicht, mit der viele Eltern ihre Kinder auf den Zahnarztbesuch vorbereiten, oder an das Feingefühl mancher ÄrztInnen. Jeder Schritt wird sorgfältig erklärt, Instrumente werden vorgestellt, und manchmal gibt es sogar eine kleine Belohnung für die Tapferkeit. Ähnlich verhält es sich mit dem Medical Training: Ihr Hund lernt, sich schrittweise und freiwillig mit verschiedenen Positionen, Abläufen und Utensilien vertraut zu machen. Diese behutsame Heranführung schafft ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens.
Die positiven Auswirkungen dieses Trainings sind weitreichend
Die positiven Auswirkungen dieses Trainings sind weitreichend. Sie erleben sie nicht nur beim Tierarzt oder Hundefriseur, sondern auch im alltäglichen Zusammenleben. Die Pflege zu Hause, wie das Bürsten, das Entfernen einer Zecke oder das Verabreichen von Medikamenten, wird durch das Medical Training wesentlich erleichtert und für Sie und Ihren Hund zu einer angenehmen Erfahrung und einer unaufgeregten Routine.
Medical Training mit Hund!?
Die Trainingsgrundlagen sind bei allen Tierarten gleich, das Training mit Tiger oder Krokodil verläuft daher nicht wirklich anders als das Training mit dem Hund. Positive Verstärkung, individuelles Tempo und fairer Umgang! Dies sei gleich für all jene vorausgeschickt, die meinen, „mit meinem Hund geht das nicht“.
Ein zentraler Aspekt dieses Trainings sind die Kooperationssignale. Ihr Hund signalisiert durch eine bestimmte Aktion seine Bereitschaft, Ihre Manipulationen, und später die des Tierarztes, zuzulassen. Meistens bedient man sich hierzu des Targettrainings (Target = Ziel). Ihr Hund lernt beispielsweise, mit seinen Vorderpfoten auf einer bestimmten Unterlage zu bleiben, während Sie ihn bürsten oder pflegen. Sobald der Hund die Unterlage verlässt, ist Pause – ohne Diskussion.
Das ist der Deal!
Kooperationssignale sind Einladungen an den Hund, die er auch ablehnen darf.
Es sind Verträge, die von Ihrer Seite unbedingt einzuhalten sind.
Manchmal ist Geduld gefragt, besonders wenn Hunde Menschen gegenüber skeptisch sind und das Vertrauen verloren haben. Bei Welpen und Hunden ohne schlechte Erfahrungen klappt es dagegen überraschend schnell. Welches Kooperationssignal Sie wählen, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie dem Anlass, der Größe des Hundes und seinen Vorlieben. Das Training sollte immer Spaß machen, denn diese positiven Emotionen helfen Ihrem Hund, spätere Herausforderungen besser zu meistern.
Mit diesem Training geben Sie Ihrem Hund eine Stimme.
Er kann klar und dennoch höflich signalisieren, wann Sie anfangen und vor allem, wann Sie aufhören sollten. Es ist eine verbindliche Vereinbarung, die Ihrem Hund die Sicherheit gibt, dass Sie seine Signale respektieren und auf sie reagieren.
Selbst Hunde, die keine Annäherung dulden, profitieren enorm von diesem Training. Es ist für jeden Hundebesitzer und seinen Hund sinnvoll, unabhängig von Alter, Rasse, Größe oder Gesundheitszustand des Tieres. Ein gut vorbereiteter Hund und regelmäßiges, entspanntes Training können den Besuch beim Tierarzt erheblich angenehmer gestalten.
„Kooperation“ bedeutet das zielgerichtete Zusammenwirken mehrerer, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen – Wikipedia
„Kooperation“ bedeutet das zielgerichtete Zusammenwirken mehrerer, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen – Wikipedia
„Kooperation“ bedeutet das zielgerichtete Zusammenwirken mehrerer, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen – so definiert es Wikipedia. Und genau das ist es, was im Medical Training passiert, egal ob mit einem Tiger, einem Krokodil oder einem Hund. Die Grundprinzipien sind dieselben.
An dieser Stelle ein Appell an die Tierärzteschaft:
Bitte nehmen Sie das Thema Medical Training ernst und schätzen Sie die Mühe, die Hundebesitzer in das Training investieren. Sie profitieren selbst am meisten davon, wenn Untersuchungen und Behandlungen ohne Abwehrverhalten des Tieres und damit ohne Gefahr für die Behandler vonstatten gehen können.
Jeder Hund muss irgendwann einmal zum Tierarzt.
Manche haben Glück und sind wirklich nur einmal im Jahr zur Kontrolle dran, andere sind Stammgast in der Tierarztpraxis. Für fast alle Tiere ist das ein unangenehmes Ereignis, die meisten sind beim Betreten der Praxis zumindest ängstlich. Viele Hunde haben bereits an dem Punkt richtig Angst bis hin zur Panik. Entsprechend gestresst und entnervt sind auch die zugehörigen Menschen und die Arbeit von Tierarzt oder Tierärztin wird enorm erschwert.
Schon hier beginnt gutes Pflege- und Behandlungstraining
Wenn Sie regelmäßig mit Ihrem Hund an der Ordination Ihres Vertrauens vorbeispazieren, etwas Zeit investieren, einen Moment im Wartezimmer platznehmen und gelegentlich „einfach so“ ins Behandlungszimmer dürfen, tragen Sie schon viel dazu bei, dass ein „echter“ Tierarztbesuch nicht mehr ganz so schrecklich ist. Der tierärztlichen Hilfe oder dem Onkel Doktor den Lieblingstrick zeigen, Beifall und dicke Belohnungen dafür einstreichen, im Behandlungsraum Leckerchen und – wenn der Hund ein Kuschler ist – Streicheleinheiten abstauben und das war’s! So ganz nebenbei gewöhnt sich Ihr Hund an Gerüche, Geräusche und handelnde Personen und verknüpft dies alles mit freundlichen Erlebnissen.
Auch das Stressmanagement spielt eine wichtige Rolle.
Methoden wie konditionierte Entspannung oder isometrisches Halten können helfen, die nervliche Belastung des Hundes zu reduzieren, nicht nur aber auch beim Tierarzt.
Das Tempo bestimmt immer der Hund
Der Trainingsprozess wird behutsam und immer nach dem individuellen Tempo Ihres Hundes gestaltet. Schritt für Schritt werden die gewonnenen Fähigkeiten auf anspruchsvollere Situationen angewendet. Bei Welpen bietet sich die Gelegenheit, Berührungen, Geräusche und Gerüche von Anfang an ganz selbstverständlich in den Alltag einzubinden. Sollte Ihr Hund bereits erwachsen sein, empfehle ich, zu Beginn eine Standortbestimmung durchzuführen.
✅ Finden Sie heraus, welche Berührungen Ihr Hund an welchen Körperstellen, wann und von wem akzeptiert.
✅ Gibt es bereits vorhandene Abläufe, die als Basis dienen können?
✅ Kennt Ihr Hund Entspannungsrituale, die Sie erweitern können?
Auf diesen Erkenntnissen aufbauend, entwickeln Sie dann idealerweise gemeinsam mit einem guten Trainer oder einer Trainerin einen sorgfältig abgestimmten Trainingsplan, der in kleinen, wohlüberlegten Schritten vorangeht.
Das bedeutet nicht, dass Sie jede mögliche Situation, jede Untersuchung, jeden Vorgang bis zur letzten Kleinigkeit üben und durchspielen. Es bedeutet auch nicht, dass Ihr Hund perfekte Handlungsabläufe für alles und jedes haben muss. Aber es heißt, dass Sie möglichst vieles vorsorglich bereits berücksichtigt haben, dass Ihr Hund über gut geübte Verhaltensroutinen verfügt, Vertrauen zu Ihnen hat und Sie so im Idealfall sogar verhindern können, dass eine Ausnahmesituation entsteht.
Vertrauen, Vertrauen und nochmals Vertrauen
Medical Training basiert auf Vertrauen, Planung, Management und einem geduldigen, schrittweisen Vorgehen.
Dies gilt für alle Tiere – vom Gecko bis zum Hund. Es ist eine Investition in das Vertrauen zwischen Ihnen und Ihrem Hund und in einen entspannten Umgang beim Tierarzt oder im Pflegesalon. Denn letztendlich geht es darum, dass Ihr Hund sich verstanden und sicher fühlt, die Grundlage einer guten Beziehung.
Und das ist es doch, was wir uns alle wünschen!
Ich wünsche Ihnen, dass Ihr Hund Ihnen in allen Lebenslagen vertraut.
Eure und Ihre
Karin Immler
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Der Artikel wurde ursprünglich für das Magazin Happydog Insider geschrieben und ist dort im Frühling 2024 erschienen.
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